Uns wurde eine Idee der Selbständigkeit verkauft, die auf permanentes Wachstum ausgerichtet ist: Mehr arbeiten, mehr Umsätze, mehr Mitarbeiter, mehr Projekte. Wachstum ist nicht per se schlecht. In unserer Business School sprechen wir viel darüber, wie der Umsatz erhöht und eine starke Marke aufgebaut werden kann. Das Ziel ist es jedoch nicht mehr zu arbeiten, sondern cleverer. Es geht darum den Umsatz zu erhöhen, ohne die Ausgaben oder die zu leistenden Stunden zu erhöhen.
Als unser Business im Jahr 2015 anfing gut zu laufen, wurden wir süchtig nach neuen Projekten und Wachstum. Die Anzahl unserer Mitarbeiter stieg, unser Büro wurde größer, was mit einem gleichzeitigen Anstieg der Verantwortung und des Stress-Levels einherging. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir genau das verloren hatten, was wir an der Selbstständigkeit immer so zu schätzen wussten: Eine gewisse Spontanität, Unbekümmertheit und auch die Möglichkeit, sich die Kunden auszusuchen. Wer steigende Ausgaben hat, muss mehr Umsatz machen. Das Potential zu wachsen war immer da, wir hatten tolle Mitarbeiter, genug Ideen und Fläche diese umzusetzen. Wir fokussierten uns irgendwann sehr darauf, neue Kunden zu gewinnen und viel darüber nachzudenken, wie wir weiter skalieren konnten. Um was zu erreichen? Vielleicht um wieder genau da hinzukommen, wo wir wenige Jahre zuvor bereits waren? Wir haben uns blenden lassen von der Idee, dass ein größeres Unternehmen auch größeres Glück bedeutet.
Nehmen wir als Beispiel unsere Education Website: Unsere Gedanken drehten sich in der Vergangenheit viel um Marketing. Wer viel redet um neue Kunden zu gewinnen, kann schlecht zuhören und vernachlässigt irgendwann die Wünsche und Probleme der bereits vorhandenen Community. Der Plan war offensichtlich und typisch: Um den Umsatz zu erhöhen, brauchten wir mehr Kunden und um mehr Kunden zu bekommen, waren Inhalte nötig, die für eine größere Gruppe interessant sind, also z.B. Workshops für Fotografie-Einsteiger. Doch das hat seinen Preis: Je größer der Markt, desto mehr Konkurrenz. Produkte für jeden, sind Produkte für niemanden. Es ist mehr Budget für Marketing oder zumindest viel mehr Anstrengung nötig, um überhaupt gesehen zu werden. Mehr Kunden haben mehr Probleme, sodass mehr Mitarbeiter für den Service notwendig sind. Zum Glück haben wir rechtzeitig verstanden, dass dieser Weg zwar logisch klingt, unser Leben dadurch aber nicht besser wird. Mittlerweile konzentrieren wir uns ausschließlich auf sehr kleine Zielgruppen, mit denen wir uns am meisten identifizieren: Ambitionierte und professionelle Hochzeitsfotograf:innen.
Hier ein weiteres Beispiel: Über monostraps.de bieten wir Kameragurte für professionelle Fotograf:innen an. In den ersten Jahren hatten wir zusätzlich sehr klassische und günstige Kameragurte im Sortiment, sodass jeder mit einer Kamera automatisch unser Kunde war. Wir dachten wieder sehr typisch und offensichtlich: Je größer der Markt, desto mehr Wachstum ist möglich. Heute richtet sich unser Angebot ausschließlich an Profis. Das ist kostengünstiger, denn wir müssen uns nicht mit den großen Anbietern der Branche messen. Wir können zugeschnittener kommunizieren, die Wünsche unserer Zielgruppe besser verstehen lernen und Vertrauen aufbauen. Das hat dazu geführt, dass unsere Gurte nach jedem Drop innerhalb weniger Minuten ausverkauft sind.
Selbst große Unternehmen sehen mittlerweile viele Vorteile darin, klein zu sein. Sie versuchen also zumindest den Anschein zu erwecken, als wären es kleine Unternehmen: Sie stellen ihr Team vor, schreiben persönlichere Mails und machen Instagram Stories. Umso unverständlicher ist es für uns, wenn kleine Unternehmen diese Vorteile verschenken, indem sie sich wie große Unternehmen verhalten: Sie verstecken sich hinter ihrer Marke, schreiben unpersönliche Mails oder verlieren den Kontakt zur Community.
Nachdem wir “Company of One – Why staying small is the next big thing for business” gelesen hatten wurde uns klar, dass “mehr” nicht immer die bessere Antwort ist. Die Bücher “Small Giants: Companies That Choose to Be Great Instead of Big” und “The One Thing” waren die weitere Augenöffner. Nachdem wir versucht haben, uns die richtigen Fragen zu stellen, um die wichtigsten Bereiche und Aufgaben in unserem Unternehmen zu definieren, haben wir uns dazu entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen: Wir haben uns von unserem Büro getrennt, das Team verkleinert und Home Office eingeführt. Die Anzahl der Projekte wurde reduziert und anstatt uns auf Wachstum zu konzentrieren arbeiten wir heute die meiste Zeit daran, besser zu werden und uns um die Community zu kümmern. Natürlich möchten wir wachsen und skalieren, aber das ist auch möglich ohne die Ausgaben zu erhöhen und ohne mehr Freizeit dafür zu opfern. Seitdem wir diesen Weg eingeschlagen haben, steigt der Umsatz, während die Kosten so gering wie nie sind. Da wir an weniger Projekten parallel arbeiten, haben wir mehr Zeit für wirklich wichtige Aufgaben und wir können diese besser bewältigen. Wir arbeiten in einem kleinen Team, hinterfragen immer wieder sämtliche Arbeitsprozesse und Strukturen, um noch effizienter zu arbeiten: Welche Aufgaben oder Arbeitsschritte können vereinfacht oder entfernt werden, sodass das Ergebnis gleich bleibt oder besser wird?
Als Hochzeitsfotograf*innen haben wir uns so positioniert, dass wir nur noch für eine sehr kleine Gruppe interessant sind. Anstatt 50+ Hochzeiten mit einem Team von mehreren Mitarbeiter*innen abzudecken, brauchen wir jedes Jahr ungefähr 15 Kunden, um unseren Umsatz zu erwirtschaften. Wir arbeiten an den Projekten, auf die wir Lust haben, zusammen mit den Menschen, die wir mögen. Wir sind flexibel und fühlen uns frei. Nach der Geburt unserer Tochter haben wir gelernt, wie wertvoll das ist. Wenn uns heute jemand erzählt, wir müssten weiter wachsen und skalieren, haben wir dafür nur ein müdes Lächeln über.
Wir haben unsere Selbstständigkeit an unser Leben angepasst, anstatt unser Leben an eine Idee der Selbstständigkeit, die auf blindes Wachstum ausgerichtet ist. Es scheint fast so, als sei das Wort “genug” unter Selbstständigen nicht sehr geläufig. Wachstum ist gut, aber nicht blind und in alle Richtungen. Vielleicht macht “genug” oder “weniger” viel glücklicher. Es lohnt sich zumindest mal darüber nachzudenken.